Interview mit Dr. Katja Schwenzer-Zimmerer

Liebe Frau Privatdozentin Dr. Dr. Schwenzer-Zimmerer, bitte stellen Sie sich kurz vor.

 

Meine ersten Einblicke in die Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie erhielt ich als Kind. Mein Vater war Ordinarius für Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie am Universitätsklinikum in Tübingen. In seiner Tätigkeit hatte er einen besonderen Schwerpunkt und viel persönlichen Idealismus auf die chirurgische Behandlung von Kindern mit angeborenen Fehlbildungen gelegt. In Tübingen bestand unter seiner Leitung bereits in den frühen 80er Jahren ein interdisziplinäres Spalten-Zentrum im heutigen Sinne mit einer Stillberaterin im Team.

Am Wochenende durfte ich meinen Papa zu den Visiten im Krankenhaus begleiten. Hierbei hat sich wohl sein Enthusiasmus für die Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie auf mich übertragen. Besonders die kleinen Babies mit angeborenen Fehlbildungen weckten als kleines Mädchen mein Interesse und für mich war schon damals klar, dass ich eines Tages auch Kinder operieren lernen wollte.

Ich verbrachte meine Kinder- und Jugendzeit in Tübingen, machte dort Abitur und studierte von 1987-1994 parallel Medizin und Zahnmedizin an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen. 1994 schloss ich beide Studiengänge und meine medizinische Doktorarbeit über objektive Hörmessungen bei Kindern erfolgreich ab. 1996 folgte der Abschluss meiner zahnmedizinischen Dissertation in der Grundlagen-Forschung auf dem Gebiet der Lasertechnologie.

 

Meine Facharztausbildung zur Mund-Kiefer-Gesichtschirurgin begann ich 1994 in Tübingen und setzte sie 1996 in München an der Ludwig-Maximilians-Universität unter Prof. Ehrenfeld fort. Auch er maß der Fehlbildungschirurgie einen besonderen Stellenwert zu und betrieb sie im interdisziplinären Team auf sehr hohem Niveau nach Tübinger Tradition. Ich war zu Beginn meiner Münchner Zeit als Privatassistentin für die Betreuung der Spaltenkinder und die Spaltensprechstunden mit zuständig und engagierte mich für diese Aufgabe mit großer Begeisterung. 1998 erhielt ich den Deutschen Facharzttitel sowie 2002 den Europäischen Facharzttitel und die Zusatzbezeichnung „plastische Operationen“ auf der Basis einer breiten und fundierten allgemeinen operativen mund-kiefer-gesichtschirurgischen Weiterbildung in der Münchner Klinik. Während dieser Zeit beschäftigte ich mich neben intensiver Auseinandersetzung mit der Chirurgie von Kieferfehlstellungen und einem besonderen Schwerpunkt in der ablativen und rekonstruktiven Tumorchirurgie weiterhin mit besonderem Engagement mit den kleinen Spaltpatienten. Ich stellte fest, dass ich Kindern mit diesem Problem nicht nur in Deutschland, sondern auch an weniger privilegierten Ländern auf der Welt helfen wollte, wo Menschen mit Lippen-Kiefer-Gaumenspalten ja oft bis in das Erwachsenenalter unoperiert bleiben. Seit 1998 beteilige ich mich daher regelmäßig an humanitären Projekten in Nepal, Burma, Indien und Kambodscha, wo ich im Laufe der Jahre unentgeltlich mehrere 1000 Patienten operiert habe. Inzwischen bin ich Mitglied des Vorstandes von „Ärzte der Welt Deutschland“ e.V. www.aerztederwelt.com und leite in dieser Eigenschaft verantwortlich das Pojekt „L‘operation sourire - Kampong Cham/Oreang Ov“ in Kambodscha. Zusätzlich habe ich zusammen mit meinem Mann und einer Gruppe engagierter Mitstreiter eine eigene kleine Hilfsorganisation „Vergessene Patienten e.V." www.Vergessene-Patienten.comins Leben gerufen. Jedes Jahr bringen mein Mann (Dr. Stephan Zimmerer, Neurochirurg) und ich gemeinsam insgesamt 4 Wochen auf solchen ehrenamtlichen Operations-Einsätzen in Kambodscha und anderen Ländern zu.

 

 

Abb. 2: K. Schwenzer-Zimmerer mit kleinem Patienten vor der Operation in Kambodscha, © copyright: K. Schwenzer-Zimmerer

 

Meine Habilitation über Hightech-Verfahren in der Spaltchirurgie schloss ich 2008 ab. Die Grundlagen hierfür erarbeitete ich seit 2002/2003 im Team von Prof. Zeilhofer in der Forschung am Hightech-Forschungszentrum der Technischen Universität München und wechselte dann 2003 an das Universitätsspital Basel. 2002 lernte ich Prof. Klaus Honigmann auf einem Operationsworkshop zum Thema Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalten persönlich kennen. Wir begannen gemeinsam Spalten zu operieren und Erfahrungen und Gemeinsamkeiten in der Spaltchirurgie auszutauschen (wir kamen ja aus unterschiedlichen „Schulen“). Wir freundeten uns an und ich schätzte seine ehrliche Meinung als väterlicher Freund und erfahrener exzellenter Chirurg immer sehr. Seit 2005 bin ich als Nachfolgerin von Prof. Honigmann Leiterin des Spaltenzentrums in Basel und kann hier unter optimalen klinischen Verhältnissen mit ausgesprochen kompetenten Team-Kollegen sowohl in den ambulanten Sprechstunden als auch in der Kinderklinik arbeiten. Hierbei können wir auf eine fundierte wissenschaftliche Basis aus Hightech-Forschung zu allen Belangen des LKG-Komplexes zurückgreifen. Ich leite das momentan größte Spaltzentrum in der Schweiz, im Dreiländereck Deutschland – Österreich – Schweiz, das inzwischen zu einem der bedeutendsten Zentren europaweit zählt.

 

Als Chirurgin, die selbst auch Mutter ist, kann ich einerseits meine fachliche Kompetenz professionell bei der Behandlung meiner kleinen Patienten einbringen und gleichzeitig die Sorgen und Nöte junger Eltern, besonders natürlich der Mütter, aus eigener Erfahrung gut nachfühlen.

 

 

Seit wann wird in Ihrem Krankenhaus einzeitig operiert?

 

Der einzeitige Spaltverschluss wurde in Basel von Klaus Honigmann (übrigens parallel zu vereinzelten anderen gleichgesinnten Chirurgen an verschiedenen anderen Standorten in der Welt) zu Beginn der achtziger Jahre entwickelt und wird seitdem in Basel und im grenznahen deutschen Lörrach routinemässig bei allen Spaltformen durchgeführt. Hierbei muss man auch die Erfahrung und Kontinuität unserer Kinderanästhesie hervorheben, die unter der Leitung von Prof. Franz Frei in Basel und Dr. Dr. Walter Heindl in Lörrach seit vielen Jahren mit besonderer Fach-Kompetenz unsere Kinder während der Operationen und danach von Anästhesie-Seite mitbehandeln. Wir können inzwischen auf mehr als 20 Jahre Erfahrung und gut dokumentierte Fälle in unserem Zentrum zurückblicken. Im Juni dieses Jahres konnten wir die ersten Langzeitergebnisse im internationalen Vergleich zu mehrzeitigen Konzepten bei der Primärversorgung (EURO-CLEFT-Studie) vor internationalem Publikum am Bernd-Spiessl-Symposium für Innovative und Visionäre Technologien in der Cranio-Maxillo-Facialen Chirurgie vorstellen.

 

Inzwischen habe ich die Methode basierend auf den Erkenntnissen aus den wissenschaftlichen Auswertungen der Basler Patienten, aufgrund jahrzehntelanger Erkenntnisse erfahrener Spaltchirurgen (z.B. Norbert Schwenzer, Dieter Schumann und anderer) sowie aufgrund meiner eigenen Vorerfahrungen aus der Tübinger und der Münchener Klinik und weiteren Zentren international wie folgt weiterentwickelt und verfeinert:

Mit den von Dr. Margit Bacher in Tübingen entwickelten Techniken zur Behandlung von Kindern mit Pierre Robin-Syndrom und Franceschetti Syndrom oder ähnlichen Problemen können wir vor der ersten Operation die Atemwege sichern und die Operation optimal vorbereiten. Das Gleiche gilt auch für Babies mit Lippen-Kiefer-Gaumenspalten für die präoperative Ausformung und Vorbereitung der Lippen- und Kiefersegmente sowie der Nase. In meiner Tübinger Zeit durfte ich mit Frau Dr. Bacher, zu der ich nach wie vor einen engen Kontakt pflege, zusammenarbeiten und von ihr persönlich als Assistenzärztin ihre Techniken erlernen. Nach dieser präoperativen Vorbehandlung – eventuell bei extremen Spalten in Verbindung mit einem kleinen vorbereitenden Eingriff, der sog. Lippenheftung - kann im Unterschied zu dem Konzept von Honigmann eine Gingivoperiostal-Plastik (d.h. direkter Kieferverschluss) statt primärer Osteoplastik durchgeführt werden. Zudem hat sich aus meiner klinischen Erfahrung ein früherer Operationszeitpunkt, nämlich die Komplettoperation schon ab 3 Monaten bei einem Mindestgewicht von 5 kg, bewährt. Wesentlich ist hierbei in meinen Augen, Bluttransfusionen zu vermeiden und Schmerzen möglichst gering zu halten, den Aufenthalt auf der Intensivstation zu minimieren und die Kinder unter keinen Umständen zu fixieren. Hierbei habe ich in schon mit der Anästhesie in München in gemeinsamen Studien und Forschungsarbeiten Verfahren zur Einschränkung des Blutverlustes, der Schmerztherapie und des Vorgehens rund um die Operation und der Narkose entwickelt (spezielle Lagerung, spezielle Blutstillung, besondere Anästhesietechniken). So benötigen die von mir operierten Kinder so gut wie nie eine Bluttransfusion, können direkt nach der Operation oral gefüttert (keine Sondierung!!) und in der Regel nach 3-4 Tagen nach Hause entlassen werden. Dass ein Elternteil ständig beim Baby bleiben kann, ist hierbei selbstverständlich. Mit diesem modernen kinder- und familiengerechten Vorgehen beträgt - alle spaltbedingten Eingriffe zwischen 0 und 20 Jahren zusammengenommen - die durchschnittliche stationäre Gesamtverweildauer im Krankenhaus nur etwa 14 Tage. Im Vergleich dazu berichten Patienten, die nach anderen Konzepten behandelt werden, bzw. ältere Spaltträger von bis zu 40 Operationen und Krankenhausaufenthalten von mehreren Monaten.

 

Die „all-in-one-Technik“, die wir bei der Primäroperation durchführen, wird ggf. bei der Schlusskorrektur ebenfalls soweit wie möglich berücksichtigt, sodass auch hier möglichst viele operative Eingriffe „all-in-one“, d.h. in einer Narkose durchgeführt werden.

Weitere besondere Schwerpunkte sind darüber hinaus die individualisierte morphologieorientierte mikrochirurgische Operationstechnik mit maßgeschneiderten Schnittführungen, gestützt auf computerunterstützten Hightech-Planungen in 3D. Hierbei legen wir perioperativ besonderen Wert auf die konsequente funktionelle Vor- und Nachbetreuung. Seit einigen Jahren führe ich innerhalb des Primärverschlusses die primäre Korrektur der Nase im Zuge des Lippenverschlusses basierend auf US-amerikanischen Techniken von Curt Cutting und John F. Mulliken durch. Zusätzlich unterstützen wir unsere Therapie durch ein ganzheitliches und komplementärmedizinisches supportives Behandlungskonzept.

 

  

 

Abb 3a: Flyer LKG-Zentrum Seite 1 mit Kontakten, © copyright: K. Schwenzer-Zimmerer

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Abb. 3b: Flyer LKG-Zentrum Seite 2, © copyright: K. Schwenzer-Zimmerer

 

Wie sieht das Procedere nach der Geburt eines Babies mit LKG in Ihrem

Krankenhaus aus?

 

Das Universitätsspital Basel führt routinemässig 3D-Ultraschall-Untersuchungen in der Schwangerschaft durch. Besteht der Verdacht einer Lippen-Kiefer-Gaumenspalte bei einem Baby im Mutterleib, wird unser Team direkt zu dem Ultraschall Termin in der Gynäkologie hinzugezogen. Wir können uns so schon vor der Geburt selbst ein Bild von der zu erwartenden Fehlbildung machen, die Eltern ausführlich informieren und ihren Ängsten begegnen. Wir vermitteln Kontakte zu anderen Betroffenen und können die Geburt mit anschliessender Betreuung optimal planen. Direkt nach der Geburt werden Mutter und Kind von unserem Team (MKG-Chirurg zusammen mit Stillberaterin) betreut. Hierbei wird die genaue Ausdehnung der Fehlbildung festgestellt und dokumentiert. Wir können direkt auf Fragen und Bedürfnisse der Eltern eingehen. Wir nehmen in der Regel bei guter nachgeburtlicher Anpassung des Babies (an die „neue“ Welt ausserhalb des Mutterleibes) am ersten oder zweiten Lebenstag einen Oberkiefer-Abdruck und fertigen in unserem Zahntechniklabor im Hause ein erstes Trinkplättchen an, so dass der erste Trinkversuch unter Anleitung der mit Spalten erfahrenen Stillberaterinnen stattfinden kann. Wenn das Baby bis auf die Spaltbildung gesund ist, erfolgt die Behandlung auf der gynäkologischen Mutter-Kind-Station. Hier werden Mutter und Kind nicht getrennt und der natürliche Aufbau der Mutter-Kind-Beziehung in der wichtigen nachgeburtlichen Prägungsphase (der Bonding-Phase) kann so ungestört stattfinden. Die Mutter, der Vater, Geschwister und andere Familienangehörige sollen einen möglichst natürlichen Umgang mit dem Neugeborenen entwickeln können und eine familienfreundliche Atmosphäre vorfinden, damit der neue Erdenbürger auch mit seiner Spalte von seinem Umfeld ohne Ängste angenommen werden kann. Hierbei unterstützen wir die Familie nach besten Möglichkeiten.

 

 

 

Abb. 4: Links normale Trinkplatte, rechts Platte mit Fortsatz für einen Säugling mit Pierre-Robin-Sequenz, © copyright: K. Schwenzer-Zimmerer

 

 

 

Abb. 5: Fütterung durch „Fingerfeeding“ bei Säugling mit Pierre-Robin-Sequenz,
© copyright: K. Schwenzer-Zimmerer

 

Welchen Stellenwert hat das Stillen bei LKG?

 

Der möglichst natürliche Kontakt zwischen Mutter und Baby ist für die Entwicklung des Kindes sehr wichtig. Hierbei spielt das Stillen oder zumindest das Anlegen des Kindes an die mütterliche Brust und die körperliche Nähe sowohl für das Wohlbefinden des Neugeborenen als auch der Mutter eine grosse Rolle. Wir legen besonderen Wert darauf, dass das natürliche „Bonding“ durch engen Kontakt postpartal zwischen Mutter und Neugeborenem ungestört ablaufen kann. Die Frauenklinik Basel hat im Bereich der Geburtshilfe unter Leitung von Frau Prof. Irene Hösli und unter dem besonderen Engagement von Frau Silvia Honigmann die Zertifizierung „Stillfreundliches Krankenhaus“ erhalten. Eine Verlegung auf die neonatologische Intensivstation oder die zusätzliche Sondierung des Babies erfolgt nur in sehr seltenen Ausnahmefällen. Eine Fixierung des Kindes ist eigentlich nie nötig. Für die Mutter-Kind-Beziehung, aber auch für die Stimulierung einer guten muskulären Entwicklung der perioralen und Zungen-Muskulatur ist das frühzeitige Stillen bzw. die orale Fütterung durch die Mutter selbst unter bzw. nach Anleitung durch die Stillberaterin wichtig. Fast immer kann, ausser bei sehr schwachen Neu- oder Frühgeborenen, eine vollständige orale Ernährung mittels spezieller Techniken wie „Fingerfeeding“, Einsatz eines Habermannsaugers oder bei Lippen- bzw. Lippen-Kiefer-Spalten Brusternährung durchgeführt werden. Einige Kinder und Mütter erreichen auch trotz Gaumenspalte mit der Trinkplatte eine erfolgreiche vollständige Ernährung durch Stillen. Falls dies nicht an der Brust gelingt, empfehlen wir die Muttermilchernährung (abgepumpte Muttermilch) mindestens bis nach der Operation, um eine optimale immunologische Situation und Ernährung für den kleinen Patienten zu gewährleisten. Hier gehen wir natürlich immer auf die individuellen Wünsche und auf die psychische sowie die physische Situation der Mutter ein und respektieren selbstverständlich auch eine andere Entscheidung. Wichtig ist, dass kein Leistungsdruck entsteht und dass sowohl dem Wohle des Kindes als auch dem Wohle der Mama entsprechend Rechnung getragen wird. Es kann medizinische Gründe geben, aus denen die Brusternährung nicht durchgeführt werden kann. Auch die Ernährung mit Muttermilchersatzpäparaten gewährleistet eine gesunde Entwicklung.

 

 

Wie lange dauert im Durchschnitt eine OP eines Kindes mit einer einzeitigen,

durchgehenden Spalte und was müssen die Eltern prä- und postoperativ

beachten?

 

Der Verschluss einer durchgehenden Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalte erfolgt mit Mikroskop- bzw. Lupenvergrösserung in mikrochirurgischer Technik (Fadenstärken 6/0 bis 8/0) und wird von hinten (Gaumenzäpfchen) nach vorne (Lippen-Nasen-Komplex) durchgeführt. Zunächst wird der Weichgaumen dreischichtig mit Neuposition der Muskulatur und Vereinigung des Muskelringes gebildet. Der Hartgaumen wird verschlossen, indem die beiden getrennten Nasengänge konstruiert werden und die mundseitige Schleimhaut verschlossen wird. Gegebenenfalls erfolgt zusätzlich die Korrektur der Nasenscheidewand. Anschliessend wird der Kieferverschluss, die sog. Gingivoperiostal-Plastik, meist nach Vorbehandlung mit der (aktiven oder passiven) Trinkplatte und Pflastern durchgeführt. Die Lippen- und Nasenplastik wird aufgrund zuvor erhobener 3D-Daten an die spezifische Anatomie des Kindes angepasst durchgeführt. Abschliessend werden eine präoperativ laborgefertigte, genau passende Verbandplatte und ggf. Naseneingangsformer eingenäht. Dies dauert insgesamt ca. 3 1/2 Stunden. Der Eingriff erfolgt unter antibiotischer Abdeckung. Zuvor wird die Dokumentation der Spalte (Foto, 3D-Vermessung) und die mikroskopische Untersuchung der Ohren ggf. mit Parazentese oder Einlage von Paukenröhrchen sowie der objektive Hörtest mit Hirnstromableitungen durch die Kollegen der HNO durchgeführt. Die eingenähte Verbandplatte sowie die haarfeinen Nähte werden in einer Kurznarkose nach einer Woche ambulant entfernt. Hierbei werden alle Wunden und ggf. die Ohren nochmals kontrolliert und dokumentiert.

In manchen Fällen wird tagesstationär oder ambulant eine Lippenheftung, die ca. 20 min dauert, in einer Kurznarkose 4-6 Wochen vor dem eigentlichen Verschluss vorgenommen, um eine optimale Annäherung der Alveolarfortsätze für die nachfolgende Gingivoperiostal-Plastik zu ermöglichen.

Vor der Operation sollten keine Aktiv-Impfungen erfolgen. Falls das Kind oder seine Umgebung an Kinderkrankheiten (Windpocken, Keuchhusten etc.) leidet oder eine Primäraffektion mit Herpes simplex (Mundfäule) oder eine schwere Erkältung vorliegen, wäre dies ein Grund, die Operation zur Sicherheit des kleinen Patienten auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben.

Nach der Operation kann das Baby auf dem Arm der Mutter sofort einen ersten Trinkversuch unternehmen. Manche Kinder trinken spontan, andere lassen sich noch etwas Zeit. (Wir empfehlen den Müttern, die gewohnten Utensilien (v.a. Sauger) und die gewohnte Nahrung mitzubringen, da die Babies durch Veränderungen bei der Fütterung zusätzlich gestört werden). Die Schmerzen sind in der postoperativen Phase durch eine spezielle, lang anhaltende Lokalanästhesie vollständig ausgeschaltet. Eine Infusion ergänzt für die ersten beiden Tage eine optimale Schmerzbekämpfung. Wegen der besseren Betreuung durch das Pflegepersonal (pro Kind eine Schwester) kommt das Kind für die erste Nacht postoperativ auf die Wachstation. Die meisten Babies werden am nächsten Tag auf die Normalstation verlegt und am dritten Tag nach Hause entlassen (sobald sie ausreichend trinken). Sollte dies einmal nicht der Fall sein, wäre auch ein längerer stationärer Verbleib – z.B. bis zur Nahtentfernung am siebten Tag - möglich. Nach der Nahtentfernung kann das Baby immer nach Hause entlassen werden. Instruktionen zur Narbenpflege werden den Eltern gegeben und eine postoperative funktionelle Stimulation altersentsprechend durchgeführt und den Eltern gezeigt. Bei ausgeprägter Spaltnase ist das Tragen von Naseneingangformern für 4 – 6 Monate erforderlich, um das operativ erzielte Ergebnis zu erhalten. Vorübergehend muss die Sonne zur Vermeidung verstärkter Pigmentierung gemieden werden (ggf. sun-blocker).

 

 

 

Wann darf das Kind nach der OP gestillt werden und wie sind die Chancen,

dass es danach ohne Hilfsmittel gestillt werden kann?

 

Das Kind kann sofort nach dem Erwachen aus der Narkose gestillt bzw. angelegt werden. Für Babies, die die Brust gewohnt sind, ist das auch die beste Möglichkeit sie zu beruhigen. Kinder sind stark von Gewohnheiten abhängig, deshalb ist es schwieriger, kleine Patienten, die vor der Operation nur mit der Flasche ernährt worden sind, nach der Operation noch erfolgreich an die Brust-Ernährung zu gewöhnen. Die Brusternährung erfordert in der Regel einen stärkeren Muskeleinsatz (vgl. Pausbäckchen bei gestillten Säuglingen). Kinder, die Brust nicht als Nahrungsquelle kennen, bevorzugen in der Regel den gewohnten Sauger. Daher ist es auch nicht sinnvoll, bei Flaschenernährung in dieser Phase sofort einen anderen Sauger oder eine andere Nahrung auszuprobieren. Wenn man eine Brusternährung sehr gerne erreichen möchte, sollte man das Kind schon vor der Operation kontinuierlich an die Brust nehmen, auch wenn so die Ernährung nicht gewährleistet ist, um diese Umgebung vertraut zu machen. In einigen Fällen gelingt es dann, die Kinder nach der Operation erfolgreich an das Stillen zu gewöhnen. Hier ist die Geduld aller Beteiligten gefragt und die Mama sollte sich nicht zu schnell entmutigen lassen. Alle zuständigen Fachpersonen unterstützen Mutter und Kind auf dem Wege, die für sie beste Ernährungsform zu finden.

 

 

 

Wie sehen das weitere Procedere nach der Operation und die ersten Jahre danach aus?

 

Die Kinder werden im ersten halben Jahr alle ein bis drei Monate kontrolliert, je nach Bedarf. Danach erfolgt eine halbjährliche Kontrolle in unserer interdisziplinären Sprechstunde, bei der immer ein Mund-Kiefer-Gesichts-Chirurg, ein Hals-Nasen-Ohrenarzt, ein Kieferorthopäde/Kinderzahnarzt, eine Logopädin und ggf. die Still- und Ernährungsberaterin anwesend sind. Bei Bedarf können darüber hinaus weitere Spezialisten hinzugezogen werden. Die Betreuung erfolgt in enger Kooperation mit den heimatnahen Fachkollegen der unterschiedlichen beteiligten Disziplinen, da viele Kinder aufgrund unseres Konzeptes auch von weiter her kommen. Kinder, die nahe gelegen wohnen, können auch in Basel direkt behandelt werden (Therapie, Kieferorthopädie, Ergotherapie etc.). Wir bemühen uns zusätzlich um eine adäquate Beratung bei sozialen, pädagogischen oder auch logistischen Problemen. Je nach Entwicklung finden dann jährlich Kontrollen statt. Bei Bedarf natürlich auch öfter.

Nach dem primären Eingriff werden im Normalfall vor dem Durchbruch der bleibenden Frontzähne keine weiteren Eingriffe mehr durchgeführt. In Ausnahmefällen können kleine Korrekturen vorgenommen werden, wenn für andere Eingriffe (z.B. Legen oder Entfernen von Paukenröhrchen oder eine Zahnsanierung) sowieso eine Narkose notwendig wird.

Die meisten Patienten mit Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalten benötigen eine kieferorthopädische Behandlung. Manche Kinder brauchen zur Einstellung des seitlichen Schneidezahnes oder des Eckzahnes eine sekundäre Osteoplastik (z.B. mit Beckenkamm-Knochen). Entsprechend der kieferorthopädischen Indikation wird dies in enger Abstimmung mit den Kollegen zu gegebener Zeit durchgeführt. Nach dem pubertären Wachstumsschub ist je nach Ausmass der Spalte und Form des individuellen Wachstums eine nochmalige kieferorthopädische Behandlung nötig. Dies kann u. U. durch eine operative Kieferumstellung oder Zahnimplantation ergänzt werden. Eine abschliessende Korrektur der Nase und eventuell der Lippennarbe wird nach dem pubertären Wachstumsschub empfohlen.

 

Bei komplikationslosem Verlauf werden bei Patienten mit einer durchgehenden Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalte insgesamt maximal drei Eingriffe notwendig: der Erstverschluss mit drei Monaten, die sekundäre Kieferspaltosteoplastik (falls aus kieferorthopädischer Indikation notwendig) mit ca. 8-11 Jahren und die ästhetische Schlusskorrektur nach Abschluss der Pubertät. Auf Wunsch der Patienten können ästhetische Korrekturen zu jedem Zeitpunkt durchgeführt werden.

 

Insgesamt werden unsere Patienten bis zum 20. Lebensjahr und bei Bedarf auch länger kontrolliert. Sie können sich selbstverständlich auch nach Abschluss der Behandlung wieder vorstellen.

 

Liebe Frau Privatdozentin Dr. Dr. Schwenzer-Zimmerer, vielen Dank für das interessante Interview!

 

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